Angst kostet die deutsche
Volkswirtschaft 75 Milliarden € ...
... so schreibt es Erik Händeler in "Kondratieffs Welt" (Auszug aus dem Buch siehe weiter unten)!
Der Aufschwung bringt den Wohlstand, der Abschwung die Knappheit, so zeigt es uns die Geschichte der Ökonomie in regelmäßiger Wiederkehr. Veränderungswille im Wohlstand gibt es nicht. Veränderungswille entsteht immer in Zeiten von Knappheit, aber Veränderung macht Angst!
Ein Schachspiel ist ein hochkomplexes Logikspiel bereits nach 2 Zügen können über 70.000 neue Stellungen entstehen. Wer es einmal probiert hat, weiß wie Komplexität sich anfühlt und welch hohe Denkleistung es erfordert.
Und wenn ein Schachspiel schon eine Herausforderung für uns darstellt, was soll dann diese Welt für uns sein? Die Welt ist so hochkomplex, dass wir nicht in der Lage sind 2 Schritte (Zyklen) im Voraus zu planen, da wir darauf angewiesen sind Schritt 1 zu machen, um die Auswirkungen zu erleben "zu begreifen". Erst wenn wir den Schritt gegangen sind, kann sich alles neu ordnen und dadurch entsteht wieder Klarheit, die ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wir verstehen mit welcher Lösung wir einer Knappheit begegnen müssen, steuern dann aber zwangsläufig auf die nächste zu. Da eine Ursache eine Entwicklungszeit benötigt, um sich in ihrer ganzen Auswirkungen zu entfalten, fällt es uns mitunter schwer den Gesamtzusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu erkennen. Könnten wir mit allem, was wir tun, einen Zeitraffer dazu schalten, würde vielleicht schon heute manches anders aussehen.
Im Moment "scheitern" wir noch an unserem Menschsein. Wir reden schon viel von Fairness, hier und da leben wir es auch schon, aber wir sind es noch nicht allumfassend. Überall wo es jetzt noch "krankt" wird es nach und nach "gesunden".
Eine Frage, die ich mir immer wieder stelle und Ihr vielleicht auch: Was hat alle Hochkulturen vor uns zu Fall gebracht? Auch sie waren auf dem höchstmöglichen technischen Stand. Haben sie den Schritt vor dem auch wir gerade stehen nicht geschafft?
Bei unserem nächsten Schritt empfiehlt es sich gewiss, dass wir uns - den Menschen - mitnehmen. Unsere Befürchtungen, unsere Ängste sollten wir ernst nehmen. Beheben wir nicht was uns stört und hindert, kommen wir an uns selbst nicht vorbei.
Ethisches Sozialverhalten, Gesundheit, Vielfalt und gruppenübergreifendes Miteinander kann man nicht "verordnen", erst wenn wir fühlen, dass unsere Zukunft darin liegt, werden wir verstanden haben welcher Mehrgewinn für uns selbst und alle anderen daraus entsteht.
Was wir brauchen ist Mut, Mut, Mut! Auf zu neuen Ufern!
Und tun wir es nicht, dann wird uns die "Krise" (Knappheit) in die Knie zwingen und sie tut es ja auch schon ...
Auszug aus "Kondratieffs Welt - Wohlstand nach der Industriegesellschaft" von Erik Händeler, erschienen im Brendow-Verlag, ISBN 9-783865-060655
Kapitel 8, ab Seite 108 ff.
Der entscheidendste Standortfaktor
Während die öffentlichen (Standort)Debatten noch immer die Schlachten der alten Industriegesellschaft führen, sind es die Praktiker in den Unternehmen, die als Erste mit den neuen Spielregeln der Informationsgesellschaft konfrontiert sind.
In einer globalisierten Wirtschaft kann längst jeder überall Kapital aufnehmen, verfügt jeder per Internet schnell über alle Informationen und jedes Wissen, kann sich jeder auf einem freien Weltmarkt jede Maschine kaufen und seine Produkte weltweit vermarkten. Ob die Maschinen 100 oder 100.000 Teile herstellen, ist fast unerheblich geworden – der größte Teil der Wertschöpfung findet im gedachten Raum statt: Entwickeln, organisieren, planen, analysieren, vermarkten, in dieser gigantischen Informationsflut die Informationen finden, die man gerade braucht, um ein reales Problem zu lösen. Der entscheidendste Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Informationen umzugehen – und das ist in der Regel auch im Umgang mit anderen Wissensarbeitern, Projektpartnern, Kunden, Kollegen.
Davon ist in den öffentlich geführten politischen Debatten wenig zu spüren. Kein Wunder: Mit welchen Methoden und Werkzeugen Menschen zu ihrer Zeit den Wohlstand produzieren, das kommt in den rein monetären Wirtschaftstheorien nicht vor. Für den Ökonomen Nikolai Kondratieff waren es aber gerade diese Veränderungen des realen Wirtschaftens, die Konjunktur und Firmengewinne bestimmen.
Nachdem nun die Jahre vorbei sind, in denen Computerhardware Produktion und Verwaltung in großen Portionen effizienter machte, wird seine Theorie der langen Konjunkturwellen wieder relevant: Demnach entwickeln sich an den Knappheiten von heute die Strukturen und Märkte von morgen. Was sind heute die größten wirtschaftlichen Knappheitsgrenzen? Überall in der Welt explodieren die Krankheitskosten. Nach über 200 Jahren Industrialisierung bremsen gesundheitliche und ökologische Schäden die Gesellschaften, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Vor allem chronische Komplexkrankheiten, Allergien, vegetative Störungen und psychisch bedingte Leiden beeinträchtigen die kreativen und produktiven Beziehungen des Menschen zu seinem sozialen Umfeld – privat und in der Arbeit. Die Schäden für die gesamte Volkswirtschaft verdeutlichen: Der vermeintliche Kostenfaktor Gesundheit wird der künftig entscheidende Produktionsfaktor für die Wirtschaft in der Informationsgesellschaft – eine wirtschaftliche Macht.
Dass Gesundheit der Wachstumsmotor im nächsten Kondratieff-Strukturzyklus wird, wie es Leo Nefiodow schon Mitte der 90er Jahre prognostizierte, wurde von manchen missverstanden. Sie warten jetzt immer noch auf materielle Erfindungen wie früher die Dampfmaschine, um die Wirtschaft anzutreiben. Sie hoffen darauf, das bekannte Erschöpfte durch etwas ersetzen zu können, in dem auch irgendwie das Wort „Technologie“ vorkommt.
Doch es wird in Zukunft keine Maschine mehr geben, die unsere Gedanken produktiver macht. Was an Hardware zu dem nächsten Aufschwung beitragen wird – Gentechnik, Nanotechnologie in der Medizintechnik, Umwelt- und ressourcenschonende Verfahren, andere materielle Gesundheitsinvestitionen -, ist nur das dienende Drumherum um die größte Knappheit: intelligente, unstrukturierte, kooperative Informationsarbeiter und ihre produktive Lebensarbeitszeit. Das ist etwas Immaterielles in einer Wirtschaft mit zum größten Teil immaterieller Wertschöpfung. Auch Gesundheit hängt zunehmend von immateriellen Faktoren ab: ob sich die Leute am Arbeitsplatz mit ihrem Sozialverhalten gegenseitig krank machen, ob sie ohne Lust an ihrem Leben ihre Arbeit verrichten oder eine schlechte Gedankenhygiene betreiben.
Ökonomisch relevant sind in Zukunft jede Zeit und Kraft, die nötig sind, bestimmte Informationsarbeiten zu bewältigen – ein Produkt managen, eine neue Maschine konstruieren, eine Situation analysieren. Das dazu nötige Wissen kann kaum noch ein Einzelner überblicken. Firmen sind auf das Wissen aller angewiesen. Fachkompetenz ist nicht mehr wie früher oben, sondern sie ist unten auf Ebene der Sachbearbeiter zu finden. Es gibt kein Zurück: In der Informationsgesellschaft gehört das entscheidende Produktionsmittel nicht mehr der Firma, sondern den Mitarbeitern. Mit Befehlen und Strafen kann man Wissensträger einschüchtern, aber sie werden ihr Bestes dann schön für sich behalten. Je höher jemand in der formalen Hierarchie aufsteigt, umso mehr ist es seine Aufgabe, Ressourcen und Informationsfluss zu moderieren und die Menschen mit ihren Stärken einzusetzen. Deswegen haben wir in den 90er Jahren flache Hierarchien eingeführt: nicht aus der Mode, sondern aus der Knappheit heraus, Wissen besser anzuwenden.
Preisunterschied = Verhaltensunterschied
Nur: Die Menschen der Industriegesellschaft sind dieselben geblieben. Sie ändern ihr eingefahrenes soziales Verhalten langsamer, als man ihre Betriebsorganisation samt offiziellen Spielregeln verändert. Zahl und Komplexität der Schnittstellen haben sich enorm vergrößert, die psychischen Schichten der Mitarbeiter sind stärker berührt: Plötzlich wurde Mobbing ein Thema, fast die Hälfte der Mitarbeiter hat innerlich gekündigt, Angst kostet die deutsche Volkswirtschaft etwa 75 Milliarden Euro. In der Arbeitswelt der Informationsgesellschaft bricht das uralte Problem auf, dass sich Männer und Frauen wegen ihrer unterschiedlichen Kommunikation oft nicht verstehen, dass sich Junge und Alte überwerfen und dass wir keine sachliche und faire Umgangskultur haben. Die Menschen werden sich noch lange schwer damit tun, die notwendige Freiheit des Informationsarbeiters konstruktiv einzusetzen: Videoauswertungen des Kölner Professors Winfried Panse haben gemessen, dass die Teilnehmer 80 Prozent der Gesprächszeit benutzen, um die eigene Position zu verteidigen.
Das ist der Grund, warum die Menschen im Unternehmen derzeit so verunsichert sind und die Organisationen so instabil: Wir befinden uns im Umbruch zwischen zwei Kondratieff-Sturkturzyklen, in denen verschiedene Erfolgsmuster gelten. Was in dem einem half, kann in dem anderen kontraproduktiv wirken. Unsere alten Unternehmensstrukturen lösen sich auf. Doch die neuen sind noch nicht gefunden. Wir wissen zwar, wie wir Mitarbeiter technisch vernetzen, aber wir sind schlecht auf die Anforderungen vorbereitet, Beziehungen produktiv zu gestalten. Das hat nichts mit Fachwissen zu tun oder mit Organisationsstrukturen, sondern damit, wie weit das Verantwortungsgefühl eines Menschen reicht oder ob man ausreichend selbstbewusst ist, ohne Statussymbole und firmenöffentliche Machtbeweise auszukommen. Letztlich ist dies ein ethisches Problem.
Welche Ethik?
- Wahrhaftigkeit statt Manipulation
- Konflikte fair klären, statt zu unterdrücken oder gewaltsam auszufechten
- Beziehungen versöhnen statt abzubrechen
- Dienende Kultur statt interne Machtkämpfe
- Das gesamte Organisationswissen mobilisieren, statt eine Person oder Sichtweise
von vornherein zu verabsolutieren
- Auch Fremdnutzen beachten statt nur den Eigennutzen im Auge zu haben
Hinter den Preisunterschieden gleicher Produkte verschiedener Firmen stecken Produktivitätsunterschiede – und das sind künftig in erster Linie Verhaltensunter-schiede. Die innere Firmenkultur schlägt auf den Kunden durch: Er spürt auch die Botschaften zwischen den Zeilen. Er erlebt, ob er sich auch in schlechten Zeiten auf eine Partnerfirma verlassen kann, ob er zur Familie gehört, ob dort der kurzfristige Gewinn zählt oder das langfristige gemeinsame Überleben.
Wer heute etwas Geniales vorschlägt, aber zu fünf Prozent irrt, den nageln wir fest bei den fünf Prozent, anstatt den guten Gedanken aufzunehmen – denn das könnte ja dessen Status erhöhen. In Zukunft dagegen wird jeder seine schwankende Wichtigkeit ertragen, je nach tagesaktuellem Kompetenzbedarf. Heute signalisieren wir den anderen unterschwellig: „Wehe, du kritisierst mich, dann rede ich nicht mehr mir dir.“ In Zukunft überleben nur noch die, die der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen, weil sie Informationen über alle Sensoren wahrnehmen, für die nicht der Chef, sondern die Wirklichkeit der Chef ist.
Wer heute aus der Deckung tritt und Fehlentwicklungen anspricht, der wird schnell zum Einzelgänger; in Zukunft gilt er als jemand, der ein langfristig gesundes Firmenklima und eine redliche Entscheidungsbasis schafft. Wenn sich heute die anderen in der Abteilung streiten, halten wir zu dem, der uns nützlicher erscheint oder zumindest weniger bedrohlich; in Zukunft stärken wir den, der über seine eigene Kostenstelle hinaus die größere Verantwortung verfolgt.
Die heutigen Spielregeln zwingen Manager, an Investitionen und Mitarbeitern zu sparen, um vordergründigen Gewinn auszuweisen; langfristig werden nur die überleben, die in Entwicklung und Menschen investieren und manchen Jahre Zeit geben, so zu reifen, dass sie die Firma bahnbrechend voranbringen. Heute nimmt ein Chef für sich auch die Fachkompetenz in Anspruch; morgen wird er sich beim Sachbearbeiter, der sich im operativen Geschäft besser auskennt, danach erkundigen, wie sich seine Entscheidung auswirkt. Heute „funktionieren“ Mitarbeiter, wodurch der deutschen Wirtschaft ein Engagement entgeht, das den Umfang des Bundeshaushaltes erreicht; morgen wird der Chef sie fragen, mit welchen Ressourcen er ihnen dienen kann, damit sie optimal arbeiten können.
Wir verschweigen Konflikte oder tragen sie schließlich frontal zur Vernichtung des anderen aus, mit dem Recht des Stärkeren oder dessen, der den Vorstand besser kennt. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Rente anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbehauptung. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil „der“ Mensch eben „so“ sei, der verkennt die formende Kraft einer andauernden ökonomischen Krise. Wer Informationsarbeit nicht ausreichend effizient löst, der bekommt vordergründig ein „Kostenproblem“ und verschwindet demnächst vom Markt. Die Konjunktur wird erst dann wieder in Schwung kommen, wenn sich eine neue Kultur der Zusammenarbeit durchgesetzt hat. Zugegeben: Das kann lange dauern, so wie früher der flächendeckende Bau der Eisenbahn. Europa hat aber wegen seiner kulturellen Wurzeln einige Chancen, das neue Paradigma umzusetzen, während sich andere Gegenden der Welt damit zunächst noch schwerer tun werden: wo man mit anderen nicht zusammenarbeiten will, weil sie „von einer niederen Kaste“ sind, „Ungläubige“ oder eben nur Frauen, oder wo man auf seinen Überindividualismus sogar stolz ist.
Am weitesten verbreitet ist in der Welt noch ein Sozialverhalten, eine Ethik, die auf die eigene Gruppe bezogen bleibt wie die Jahrtausende zuvor – nationalistisch, rassistisch. Sie wird nun aufbrechen. In vielen Kulturen wird sich der Individualismus als neues Phänomen ausbreiten, als Folge selbstverantwortlicher Informationsarbeit, mit allen sozialen Verwerfungen. Dabei wird es nicht zu einem Kampf der Kulturen kommen, etwa an der Bruchstelle zwischen USA, islamischer Welt, Asien oder Europa. Sondern alle Kulturen geraten nun unter den ökonomischen Druck, effizienter mit Informationen umzugehen – das führt zu einem Kampf innerhalb der Kulturen, an den Fronten zwischen Gruppenethik, Individualethik und Universalethik. Das ist auch eine religiöse Auseinandersetzung, wohlgemerkt: vor allem eine innenpolitische, eine innerreligiöse Auseinandersetzung. Doch sie trifft die Unternehmen mit ganzer Wucht: Schließlich sind sie ein Teil ihres gesellschaftlichen Umfeldes.
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