Dass ich aus Deutschland auswanderte hat einen Grund den viele meiner Landsleute damals nicht hören wollten und auch immer noch nicht hören wollen. Ich konnte es nicht mehr aushalten, wie wir mit Benachteiligten umgehen! Ich brauchte ein anderes Umfeld, ich brauchte so sehr Menschen die das Miteinander statt das Ausgrenzen leben, dass ich tatsächlich nur noch gehen konnte. Und bei Benachteiligten, denke ich nicht nur an Menschen mit Behinderung, die ca. 10 % der deutschen Bevölkerung darstellen, nein ich denke auch an Kinder, an Kranke, an Alte und an Arme, die in Deutschland auch immer mehr werden. Die Schlangen an den Tafeln werden immer länger und länger. Schon verrückt! In einem Land, in dem alles Materielle im Überfluss vorhanden ist, haben wir eine Not erschaffen, die es vorher gar nicht gab. Die seelische/psychische Not! Eine Not, die durch Schmach und Scham entsteht, weil man nicht mehr mithalten kann. Und nee, ich gehörte nicht zu der Gruppe der genannten Benachteiligten. Ich gehörte zu denen, die ohne dass man sie fragte, dabei mithelfen sollten, das Benachteiligte benachteiligt bleiben. Und das ist nicht auf meinem Mist gewachsen, das ist uns als Nation schon mehrfach vorgeworfen worden und mittlerweile sehe ich es so, dass es stimmt! Das sowas klappt, dazu bedarf es nur dem „einimpfen“ von klein auf an, wie man mit bestimmten “Werten“ in unserem Land umgeht und schon ist man drin. Hinterfragen ist nicht gewollt, da es hinderlich ist. Sich daraus zu ziehen und wieder ins Hinterfragen zu kommen, kann man als Kraftakt bezeichnen.
Genau genommen müssten die Benachteiligten in Deutschland mittlerweile etwa 60 % der Bevölkerung ausmachen. Und fast alle (bis auf ein paar unbeugsame Gallier ;) wie z. B. Raul Krauthausen und Co.) fügen sich still in ihr Schicksal. Still ist ganz ungünstig, denn mit den Stillen kann man es machen.
Sagt mal, was ist eigentlich los mit uns? Wir sind doch keine Monster, aber wir benehmen uns so.
Spätestens mit dem 10. Lebensjahr legen wir für Kinder fest, wohin ihr späterer Weg einmal gehen darf – mittlerweile sind wir die letzten in Europa, die es in der Form so machen. Loser oder Winner, das geht auch anders. Muss man sich nur mal mit offenem Herzen und Augen in anderen Ländern umschauen.
Richard von Weizsäcker hat mal gesagt: "Nicht behindert zu sein ins kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das uns jederzeit genommen werden kann." Die Aussage kann man noch erweitern: "Nicht benachteiligt zu sein ist kein Verdienst, sondern ...". Das Geschenk der Jugend wird uns definitiv allen genommen, außer man stirbt jung, dann ist man aus der Nummer raus – aus jeder anderen aber auch. Wenn man sieht wie man in Deutschland als alter Mensch behandelt wird, kann man sich den frühen Tod eigentlich nur wünschen. Ein Thema hat erst eine Relevanz, wenn auch (noch) nicht Betroffene sich dafür einsetzen! Aber die (noch) nicht Benachteiligten hält man derart beschäftigt, dass sie nicht mehr zum Nachdenken, geschweige denn zum Hinterfragen kommen. Wenn man malochen muss bis zum Umfallen, damit man all das Halten kann, was wir in der Form zum Überleben gar nicht brauchen und es mittlerweile fast Hip ist mit unter 30 auf seinen zweiten Burnout zu zu steuern, dann ist man im Grunde genommen auch benachteiligt – nur anders benachteiligt.
Wenn man es so sieht, dass das "Ausbeuten" der Arbeitskraft bis zum Anschlag auch eine Form von Benachteiligung ist, dann liegt die Zahl der Benachteiligten in Deutschland höchstwahrscheinlich noch weit über 60 % der Bevölkerung, was das dramatische Ansteigen der psychischen Erkrankungen noch bestätigt.
Warum lassen wir das mit uns machen? Was ist los mit uns? Lasst uns doch mal anhalten, nur für einen Augenblick. Gerade wenn man meint, dass dafür keine Zeit bliebe, ist es genau der richtige Zeitpunkt, es zu tun.
Stellt Euch mal vor, man hätte uns im Kollektiv beigebracht, dass wir uns ganz besonders die Stimmen derer anhören müssen, die benachteiligt sind, weil sie die Seismographen unserer Gesellschaft sind ,weil gerade sie es sind, die uns die qualifiziertesten Rückmeldungen geben können, wo grad zum Erhalt unserer Gesamtgesellschaft etwas aus dem Ruder zu laufen scheint.
Zu glauben niemals selbst "Gefahr zu laufen" benachteiligt zu werden, ist ignorant. Wenn wir eine Benachteiligung durch das Handeln der Gesellschaft erhöhen, dann lohnt es sich die Frage zu stellen, ob wir so eine Gesellschaft sein wollen. Wollen wir? Wenn nicht, kann man leider nur sagen, dass wir genau das aber gerade leben.
Versucht Euch einmal einen Moment auf diese Sichtweise einzulassen. Wenn wir die Gesellschaft auch nur als ein Wesen betrachten so wie jeden einzelnen von uns. Wie ist das denn bei uns? Wenn wir irgendwas machen, was für uns nicht gut ist. Was passiert dann? Der Körper gibt uns Signale. Das sind Warnsysteme. So wie unser Körper sich versucht selbst zu regulieren, so spiegelt sich das in allen anderen Systemen, die uns umgeben, wider. Die Systeme Körper, Gesellschaft, Natur, … versuchen immer in einen gesunden, ausgewogenen Zustand zu kommen.
Wir können es ignorieren, was unsere häufigste Reaktion ist, aber das führt auf lange Sicht zu Schmerzen und dann reguliert sich das System trotzdem, aber dann richtig heftig und wenn man Pech hat dann war’s das auch. Oder wir ignorieren es nicht, das führt auch zu einem Schmerz, dem Schmerz der Erkenntnis und dem Schmerz des Übergangs von einem uns bekannten in einen noch unbekannten Zustand, aber es wäre eine Änderung im Einklang mit dem System. Meiner Meinung nach bekommen wir deshalb diese Warnsignale, um uns aktiv auf den Weg in die Veränderung zu machen. So kommen wir von einem ehemaligen stabilen Zustand in einen dann gültigen stabilen Zustand mit dem sanftesten möglichen Übergang dort hin, um uns in dem dann gültigen stabilen Zustand tatsächlich auch angekommen zu fühlen. Wie oft hat man von Menschen die Übergänge meistern mussten, gehört: "Ach ich hätte es ruhig eher machen sollen!" Wir lassen uns oftmals von Angst auf- und abhalten und müssen dann noch erleben, dass sie zusätzlich geschürt wird. Das gilt für Einzelne wie für Gesellschaften.
Wusstet Ihr eigentlich worüber sich Flüchtlinge am meisten wundern? Warum wir Deutschen nicht fröhlich sind. Ja warum eigentlich nicht? Haben doch alles! Gut die Benachteiligten, jetzt nicht so - also was Anerkennung, Zugehörigkeit, Wertschätzung, Lebensmittel (Schlangen vor den Tafeln sind keine Fata Morgana) etc. anbelangt und ja gut die (noch) nicht Benachteiligten sind nur am Malochen, hm. Aber wir haben doch trotzdem alles, wir werden nicht bombardiert, keiner leidet Hunger, wir pinkeln sogar in gutes Trinkwasser, schmeißen Lebensmittel weg, keiner muss auf der Straße leben, obwohl es in Deutschland mehr tun als in den vermeintlich ärmeren Ländern Europas, haben doch alles. Hm, gut Herzenswärme fehlt, Zusammenhalt ist auch nicht so dolle … Hm, ist vielleicht doch wichtiger als der ganze andere Kram. Offensichtlich ist es möglich fröhlich zu sein, selbst wenn man unter erschwertesten Bedingungen lebt, wenn Zusammenhalt und Herzenswärme gegeben sind.
Habt Ihr eine Idee, was in den 5 Regionen auf dieser Welt, wo die meisten Menschen älter als 100 Jahre alt werden anders ist als in Deutschland? Ich kann es Euch sagen, ich lebe seit 6 Jahren in einer dieser Regionen die Alten bleiben im Familienverbund. Man wird nicht ausgegrenzt. Man bleibt wertvoll. Das ist manchmal ganz schön herausfordernd, für die Jungen wie für die Alten, den Weg der Ausgrenzung zu wählen ist übrigens auch herausfordernd. Welche Herausforderung darin liegt, merkt man meist erst Jahre später, spätestens wenn man selber „dran ist“. Die Herausforderung des Zusammenlebens mit Jung und Alt, die merkt man hingegen direkt und unmittelbar. Und ich weiß wovon ich spreche, ich tu es auch. Und ich kann versichern, es ist nicht immer leicht! ; )
Werte zu haben und sie zu leben, muss aber auch nicht bedeuten, dass das leicht ist. Wenn ich mich an meinen Aufenthalt in Berlin zurück erinnere und Herr Steinmeier bei der Bürgerwerkstatt Außenpolitik zugeben musste, dass er gegen die eigenen Werte handelte, als die Waffenlieferung an die Pschmerga genehmigt wurde, obwohl es gegen den eigenen geschlossenen Rüstungsexportkodex (keine Waffen in Spannungsgebiete!!) sprach. Es ist viel leichter seine eigenen Werte nicht zu leben als sie zu leben. Darf man eigentlich sagen, dass man Werte hat, wenn man sie gar nicht lebt?
Wer wollen wir sein? Welche Gesellschaft wollen wir sein? Wie viele Menschen wollen wir bereitwillig opfern? Ich denke da grad an TTIP, was die Ärmsten der Armen noch ärmer machen wird? Und was machen wir, wenn die dazu Auserkoren da keine Lust drauf haben? Was machen wir wenn die motzig werden? Und was machen wir, wenn wir auf einmal die Auserkorenen sind, die geopfert werden sollen? Anfangen nachzudenken? Wege des Konsens suchen? Doch nochmal überlegen, dass alle auf dieser Welt zusammen gehören? Ist die Zeit reif oder brauchen wir noch mehr Schmerz? Wie viele Menschen lassen wir noch über die Klinge springen? Oder springen wir gerade? Irgendwann muss doch mal gut gewesen sein! Wie viel Blut wollen wir noch an unseren Händen kleben haben – eigenes wie fremdes? Niemand ist ohne Schuld, ein Leben ohne Schuld ist auch gar nicht möglich. Wir können nur versuchen die Schuld so klein und erträglich wie möglich zu halten. Das wir nie ohne Schuld sein können, ist übrigens ein Dilemma. Es muss etwas sterben, damit jeder von uns leben kann.
Manchmal, wenn mir alles auf den Senkel geht, ziehe ich meine Kopfhörer auf und hör AC/DC bis zum Anschlag. "Highway to Hell!" Aber auf Dauer ist das keine Lösung. ; ). Ich will eine Revolution! Ihr auch?
Dann macht mit beim LIVE-Chat am 30.05. um 20:00 Uhr: https://www.xing.com/events/volk-1691415?sc_o=as_e
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